Mounds: Grab- und Tempelhügel des östlichen Waldlands

Mounds: Grab- und Tempelhügel des östlichen Waldlands
Mounds: Grab- und Tempelhügel des östlichen Waldlands
 
Die weißen Pioniere, die vom späten 18. Jahrhundert an über die Appalachen in das Ohiotal vordrangen, stießen zu ihrer Überraschung auf riesige von Menschenhand errichtete Erdwerke, die überwiegend die Form von Hügeln, teilweise aber auch von weitläufigen Wallanlagen hatten. Die einheimische Bevölkerung wusste nichts über die Entstehung dieser Altertümer zu berichten, und so kam bald die Vermutung auf, die ursprünglichen Erbauer seien eine intelligente, aber leider verschwundene »vorindianische Rasse« von »Hügelbauern« gewesen. Bald fand man derartige Hügel (»Mounds«) auch in anderen Teilen Nordamerikas, vor allem in den Tälern des Mississippi und seiner Nebenflüsse.
 
Thomas Jefferson, der Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, führte 1784 an einem solchen Hügel auf seinem Landgut in Virginia eine sorgfältige Grabung durch, die manchmal als erste wissenschaftliche Ausgrabung in der Geschichte der Archäologie bezeichnet wird. Er fand Beisetzungen menschlicher Überreste und entdeckte, dass der Hügel Schicht für Schicht über einen längeren Zeitraum hinweg errichtet worden war. Über das Alter des Erdwerks und seine Erbauer konnte aber auch er nichts herausfinden. Im 19. Jahrhundert wurde dann deutlich, dass die künstlichen Aufschüttungen nicht das Werk geheimnisvoller Vorbewohner waren, zumal sich die in den Hügeln gefundenen Knochen nicht wesentlich von jenen der noch lebenden autochthonen Völker unterschieden, und dass die unterschiedlichen Formen der Hügel auf verschiedene Kulturen zurückzuführen waren. Aber erst nach 1950 gewann man auch Klarheit über das Alter der Mounds und ihre kulturgeschichtlichen Hintergründe.
 
Im Zuge der zunehmenden Sesshaftigkeit der Völker des östlichen Waldlands von Nordamerika wurde bereits im 3. Jahrtausend v. Chr. die erste Keramik produziert, die gewisse Ähnlichkeiten mit noch etwas älteren Tongefäßen aus dem nördlichen Südamerika aufweist. Im 1. Jahrtausend v. Chr. bildete sich dann mit dem Bodenbau eine typisch formative Lebensweise heraus, wobei aus Mesoamerika übernommene Kulturpflanzen (Kürbis und Flaschenkürbis, später Mais, viel später erst auch Bohnen) gegenüber einheimischen Züchtungen (unter anderem Sonnenblume, Wasserholunder, Gänsefuß und Amaranth) anfangs nur eine Nebenrolle spielten. Von intensiverem Bodenbau kann man hier erst gegen Ende des 1. Jahrtausend n. Chr. sprechen. Zu den Anzeichen dafür, dass es gegenüber den egalitären Verhältnissen des Archaikums zu stärkerer sozialer Differenzierung kam, zählt die zunehmende besondere Behandlung der sterblichen Überreste von angesehenen Personen. In der Adena-Kultur des Ohiotals, die ihren Höhepunkt zwischen 500 v. Chr. und 100 n. Chr. erreichte, errichtete man über solchen Gräbern Erdhügel von zum Teil mehr als 20 m Höhe, die mitunter von sakralen Einfriedungen umgeben waren. Die Verwendung von Rohstoffen, die aus fremden Gegenden stammten, der Handel mit Fertigwaren und der zeremonielle Gebrauch von Tabak sind für Adena ebenso typisch wie die stilisierten Raubvogeldarstellungen auf kleinen Steintäfelchen. Die Träger der Adena-Kultur lebten in verstreuten Weilern von zwei bis fünf Häusern; die Größe der Grabhügel darf also nicht zur Annahme organisierter Großsiedlungen verleiten.
 
Ab etwa 300 v. Chr. drangen aus Illinois neue Bevölkerungen in das Ohiotal ein, deren Kultur bis etwa 500 n. Chr. eine führende Rolle in der Region spielte. Diese Hopewell-Kultur war mit anderen Kulturen des östlichen Waldlands durch ein Netz von Handelsbeziehungen verbunden, die über die Golfküste Floridas bis nach Mexiko reichten. Abgesehen von Einflüssen auf das Keramikdekor gehen wohl auch die Panpfeifen auf mexikanische Anregungen zurück, die - in gehämmerten Kupferhüllen - zu den Grabbeigaben der Oberschicht zählten; daneben findet man tiergestaltige Tabakspfeifen aus Stein und Tonfigürchen von ausgeprägtem Naturalismus sowie ritzverzierte Gegenstände und Objekte aus Glimmerschiefer. Während die Grabhügel der Hopewell-Kultur meist kleiner waren als die der Adena-Leute, waren die sie umgebenden Wallanlagen weit umfangreicher. Trotz einer recht starken sozialen Differenzierung mit klar abgegrenzten Eliten fehlten auch hier eigentliche Städte.
 
In weiten Teilen des östlichen Nordamerika verlief die formative Epoche nach dem Niedergang von Hopewell bis zum Eintreffen der Europäer wenig spektakulär. Selbst Völker wie die Irokesen, die in der Kolonialzeit eine politisch-militärische Schlüsselrolle im Konflikt zwischen den europäischen Mächten spielten, entwickelten ihre Kultur erst spät aus einfachen Wurzeln. Lediglich im Mississippital und im südöstlichen Nordamerika blühte zwischen 1000 und 1600 eine Kultur, die landwirtschaftlich auf dem intensiven Anbau von Mais, Bohnen und Kürbissen beruhte und durch städtische Zentren charakterisiert war. Ihren Mittelpunkt bildeten oben abgeflachte und mit Rampen versehene Erdpyramiden, auf denen, ähnlich wie in Mesoamerika, Tempel errichtet waren. Cahokia (nahe dem heutigen Saint Louis) war mit etwa 10 000 Einwohnern die größte Metropole dieser Art.
 
Noch stärker als in den Bauformen spiegeln sich die Beziehungen zu Mexiko in der auf ritzverzierten Meeresmuscheln und getriebenen Kupferplatten festgehaltenen Bilderwelt des »südöstlichen Zeremonialkomplexes« wider, der seinen Höhepunkt im 13. und 14. Jahrhundert erreichte. Freilich darf man bei diesen Beziehungen nicht an größere Völkerwanderungen oder gar eine Kolonisation aus dem Süden denken, sondern vielmehr an einen kulturellen Austausch, der sich vor allem im Zuge von Handelsbeziehungen entwickelte. Häuptlingstümer dieser kulturellen Tradition trafen die spanischen Expeditionen im Südosten Nordamerikas noch im 16. Jahrhundert an, als diese bereits im Niedergang begriffen waren. Der durch eingeschleppte europäische Krankheiten ausgelöste Bevölkerungskollaps vernichtete jedoch rasch die schmale Schicht der Wissensträger dieser Kultur, sodass die weißen Siedler später mit wenigen Ausnahmen nur noch die »kopflos« gewordenen Volkskulturen antrafen. Zu den letzten überlebenden Repräsentanten der Tempelhügel-Tradition zählten die Natchez im unteren Mississippital, deren Häuptling »Große Sonne« als Nachkomme und leibhaftige Verkörperung des Tagesgestirns galt und noch im frühen 18. Jahrhundert gemeinsam mit seinen nächsten Verwandten die Geschicke seines Volks lenkte.
 
Prof. Dr. Christian F. Feest
 
 
Die Indianer. Kulturen und Geschichte. Band 1: Lindig, Wolfgang: Nordamerika. Von der Beringstraße bis zum Isthmus von Tehuantepec. München 61994.

Universal-Lexikon. 2012.

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